Bäume und Baustellen

Baumschutz von der Planung bis zur Ausführung

Zum Baumschutz existieren klare Vorgaben und Regelwerke (z. B. DIN 18920, RAS-LP4). Trotzdem greifen diese in der Praxis nicht oder nicht ausreichend: noch immer gehen zu viele Bauprojekte zu Lasten von Bäumen, da sie nicht ausreichend in Planung und Bauabläufe einbezogen und die Regelwerke zu ihrem Schutz nicht angewendet werden. So kommt es vielfach dazu, dass Bäume bereits vor Baubeginn gefällt werden oder sie erleiden während der Ausführung derart schwere Beeinträchtigungen, hauptsächlich durch Wurzelverluste oder andere schädigende Eingriffe in den Wurzelraum, dass ihre Lebenserwartung oder auch die Verkehrssicherheit beeinträchtigt werden. Dies führt wiederum zu einem Verlust der wertvollen Ökosystemleistungen, die Bäume vor allem in bebauten Gebieten übernehmen – und diese gehen weit über die Bereitstellung von Sauerstoff und die Reinigung der Luft hinaus

Abb. 1: Einen effektiven Schutz der alten Blutbuche bewirkt der außerhalb der Kronentraufe aufgestellte Baumschutzzaun. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Der Schutz von Bäumen ist auf den meisten Baustellen möglich, er muss jedoch frühzeitig und darf nicht erst in der Realisierungsphase berücksichtigt werden. Nur durch rechtzeitiges Hinzuziehen einer "Fachbauleitung Baumschutz", die analog zu anderen Fachbauleitungen innerhalb eines Bauprojekts über ein Spezialwissen verfügt, in diesem Fall über Bäume und bautechnische Möglichkeiten, kann Baumschutz erreicht werden und nicht bloße Schadensbegrenzung mit ungewissem Ausgang.

Der Text enthält Auszüge aus dem "Praxishandbuch Bäume und Baustellen – von der Planung bis zur Ausführung" (erschienen 2023 im Eigenverlag). Hinweise zu Bestellmöglichkeiten unter baumschutz.pro

Abb. 2: Nach Voruntersuchungen zum Baumschutz empfohlener vertikaler Baugrubenverbau ausserhalb der Kronentraufe zum Schutz des Wurzelwerks, während in anderen Bereichen abgeböscht werden konnte. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 3: Stammschutz ist kein Baumschutz, er schützt nur den Stamm. Astabrisse, Bodenverdichtungen und Wurzelverluste können nicht verhindert werden. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Was ist Baumschutz?

Baumschutz bedeutet, dass der Baum während der Ausführung vor direkten Schäden durch mechanische, thermische oder chemische Eingriffe in sein System und seinen Standort sowie vor indirekten Gefahren, beispielsweise durch Bodenverdichtungen oder Freistellung, geschützt ist. Dies kann am effektivsten erreicht werden durch das großräumige Abgrenzen des Wurzelraums und der Krone gegenüber dem Baustellengeschehen mit einem Baumschutzzaun (Abb. 1). Oftmals kann Baumschutz bereits durch einen vertikalen Baugrubenverbau außerhalb der Kronentraufe erreicht werden (Abb. 2).

Vom Baumschutz deutlich unterschieden werden muss die Schadensbegrenzung. Sie verhindert keine Eingriffe in den Baum oder sein Umfeld, sondern mildert lediglich deren negativen Folgen ab oder verzögert deren Verlauf. Dazu gehört beispielsweise ein Stammschutz, da dieser lediglich einen Schutz des Stammes bewirkt, nicht aber des Wurzel- und Kronenbereiches (Abb. 3). Auch der Bau eines Wurzelvorhangs oder Wurzelregenerationsgrabens, zum Beispiel bei Abgrabungen für eine Baugrube innerhalb des Wurzelbereiches, stellt nur eine Schadensbegrenzung dar: Die gekappten Wurzeln sollen durch den Bau dieser speziellen Regenerationszonen zur Bildung neuer Wurzeln angeregt werden, um – im Laufe vieler Jahre – wenigstens eine teilweise Kompensation der Wurzelverluste zu erreichen (Abb. 4 und 5). Diese Maßnahmen werden im Zusammenhang mit Bautätigkeiten aber fälschlicherweise meist als "Baumschutz" bezeichnet, obwohl sie Schäden und eine dadurch womöglich bleibende Zustandsverschlechterung oder eine verkürzte Reststandzeit des Baumes in Kauf nehmen.

Tab. 1: Leistungsphasen nach HOAI mit Arbeiten der Fachbauleitung Baumschutz oder des Baumpflegers

Abb. 4: Für einen Wurzelvorhang müssen alle Wurzeln abgeschnitten werden, daher handelt es sich nur um eine Schadensbegrenzung, nicht um Baumschutz. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 5: Für einen Wurzelvorhang müssen alle Wurzeln abgeschnitten werden, daher handelt es sich nur um eine Schadensbegrenzung, nicht um Baumschutz. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Wann beginnt Baumschutz und wie muss er berücksichtigt werden?

Der Schutz eines Baumes muss in dem Moment beginnen, wenn das erste Mal über Bautätigkeiten im Umfeld von Bäumen nachgedacht wird. In den frühen Leistungsphasen (LP) von Bauprojekten – vor allem in den Leistungsphasen 1 bis maximal 3 (= Grundlagenermittlung, Vorplanung und Entwurfsplanung) – können die wichtigsten Weichen für den Baumschutz und Baumerhalt gestellt werden bei gleichzeitig überschaubarem Aufwand. Dabei können die erforderlichen Arbeiten einer Fachbauleitung Baumschutz (FBB) oder eines Baumpflegers zur Initialisierung und zum Umsetzen des Baumschutzes – ähnlich wie bei Architekten- oder Ingenieursleistungen – den jeweiligen Leistungsphasen eines Bauprojekts klar zugeordnet werden (Tabelle 1). Auf diese Weise lässt sich der Schutz von Bäumen im Bereich von Baustellen deutlich erhöhen.

Praxisbeispiel zum Baumschutz

Das folgende Praxisbeispiel illustriert, wie über alle Bauphasen hinweg wichtige Beiträge zum Baumschutz geleistet werden können:

Ausgangslage Vorprojekt: Im Umfeld einer etwa 70-jährigen "Hängebuche" (Trauerform der Rot-Buche) sollte eine ältere Villa abgerissen und ein großes Mehrfamilienhaus gebaut werden. Die Fassade des neuen Wohnblocks sollte hinter der Bebauungslinie der Villa liegen, allerdings war die Abgrabung für die Baugrube zwischen Buche und Altbau geplant. Der Baum stand in einer Böschung neben dem Treppenzugang zur Villa. Die Böschung war am unteren Ende zum Gehweg hin mit einer Mauer abgefangen, die bereits mehrere Risse aufwies. Für die Umgebungsgestaltung sollten in stammnahen Bereichen alle bestehenden Treppen, Wege und die oben genannte Mauer abgebrochen und das Gelände neu modelliert werden (Abb. 6 und 7).

Abb. 6: Der Standort der "Hängebuche" vor Baubeginn: Der Baum steht gegenüber dem Gehweg erhöht, die Böschung ist auf zwei Seiten mit einer Mauer abgefangen. Neben der Buche verläuft der Weg zum ehemaligen Gebäude. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 7: Der Standort der "Hängebuche" vor Baubeginn: Der Baum steht gegenüber dem Gehweg erhöht, die Böschung ist auf zwei Seiten mit einer Mauer abgefangen. Neben der Buche verläuft der Weg zum ehemaligen Gebäude. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 8: Ausführungsplanung unter Berücksichtigung des Baumschutzes: Die Mauer an der Straße bleibt erhalten, neue Wege sind außerhalb der Krone geplant, keine Unterpflanzung unter der Krone. Plan: mavo Landschaften, Zürich

Abb. 9: Die "Hängebuche" während der Bauzeit. Früher lag vor dem Baum eine Zufahrt, rechts stand das alte Gebäude. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Arbeiten der Fachbauleitung Baumschutz:

Vorplanung (LP 2):

  • Zustandserfassung des Baumes und Beurteilung der Erhaltensfähigkeit und Erhaltenswürdigkeit.
  • Ausführen von Wurzelsondierungen entlang geplanter Abgrabungskanten zwischen Baum und Altbau und im Bereich der Treppen, um beurteilen zu können, ob die geplanten Eingriffe Folgen für den Baum hätten und welche dies wären. Ziel: Keine Wurzelverluste.

Entwurfsplanung und Genehmigungsplanung (LP 3 und 4):

  • Beratung und Erstellen eines Konzeptes zum Baumschutz, vor allem in Hinblick auf eine baumschonende Umgebungsgestaltung. Empfohlen wurde der Erhalt der bestehenden Stützmauern mit behutsamer Sanierung. Sofern diese nicht ausreichend wäre, bestünde die Möglichkeit für eine zusätzliche Sicherung der Mauer mit Mikropfählen (vor der Mauer). Rückbau aller Wege und Treppen in Handarbeit unter Wurzelerhalt sowie Verzicht auf eine Modellierung der bestehenden Böschung, eine maschinelle Bodenbearbeitung unter der Krone und Verzicht auf eine Unterpflanzung, da der Boden oberflächlich stark durchwurzelt war.
  • Die Ausführungen zum Baumschutz wurden auch in das Genehmigungsverfahren eingebracht.

Ausführungsplanung und Vergabe (LP 5-7): Mithilfe bei Ausschreibungstexten. 

Ausführung und Überwachung Bauprojekt (LP 8) (Abb. 8–12):

 

 

  • In Zusammenarbeit mit einem Baumpfleger: Ausführen einer Kronenpflege und Einkürzung schwerer, ausladender Kronenpartien (aus Sicherheitsgründen, nicht aus bautechnischen Gründen) sowie Zurückbinden von Ästen beim Abbruch der Villa. Für das Erstellen des Neubaus war kein Rückschnitt der Krone notwendig, da der Neubau hinter dem Altbau ent-standen ist und auch ausreichend Platz für das Gerüst war.
  • Fachbauleitung Baumschutz während der gesamten Projektlaufzeit: Teilnahme an Bausitzungen; Begleitung der Abbrucharbeiten, der Abgrabungen für die Baugrube und Rückbau der alten Wege und Treppen sowie Erstellen der neuen Umgebungsgestaltung; Ausführen von Kontrollen; Beratungen zum Baumschutz bei aufkommenden Fragen.

Abb. 10: Der Schutzzaun steht dort, wo sich aufgrund früherer Wege und des Gebäudes keine Wurzeln befanden. Die Krone ragte teils über den Vorgängerbau, für den Neubau mussten jedoch keine Rückschnitte erfolgen. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 11: Die Stützmauer wurde bei der Umgebungsgestaltung erhalten und nur sanft saniert (Foto zehn Jahre nach Bauvollendung). Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 12: Die "Hängebuche" unmittelbar nach Bauvollendung. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Abb. 13: Der Größenunterschied zwischen dem Jungbaum (re.), der als Ersatz für eine gefällte, 150-jährige mächtige Eiche (wie li.) gepflanzt wurde, macht deutlich, dass selbst zahlreiche Nachpflanzungen die Ökosystemleistungen eines Altbaumes über viele Jahrzehnte nicht erbringen und damit auch nicht kompensieren können. Foto: Oliver Gaiser, Antje Lichtenauer, Markus Streckenbach

Was kostet Baumschutz?

Der bei Bautätigkeiten für Baumschutzmaßnahmen eingesetzte Aufwand kann bei einem Baum, der langfristig auf dem Baugrundstück erhalten bleiben kann, als kostenneutral oder sogar ertragreich angesehen werden, da der ökologische Wert von Bäumen mit zunehmendem Alter ansteigt. So lassen sich aus baumfachlicher Sicht schlussendlich keine wirtschaftlich berechtigten Gründe finden, die gegen den Schutz von (Alt-)Bäumen sprechen.

Die tagtägliche Praxis zeigt zudem, dass sich Bauvorhaben nur äußerst selten wegen vorhandener Bäume nicht durchführen lassen. Auf beinahe jede Situation kann mithilfe von bau- und vegetationstechnischen Maßnahmen so reagiert werden, dass es zu einvernehmlichen und tragfähigen Lösungen kommt.

Die Ausgaben für den Schutz von Bäumen auf Baustellen variieren vor allem durch die Eingriffstiefe in deren Schutzraum sowie den Zeitpunkt, zu dem die FBB hinzugezogen wird. Je später dies im Baugeschehen erfolgt, desto weniger wahrscheinlich können Maßnahmen des Baumschutzes überhaupt noch umgesetzt werden. Es steigt dann vielmehr die Wahrscheinlichkeit, dass nur noch Maßnahmen zur Schadensbegrenzung zum Einsatz kommen, mit allen Folgen hinsichtlich möglicher Vitalitätseinbußen und Schäden im Holzköper des betroffenen Baumes, dem Verlust wichtiger Ökosystemleistungen, der Verkürzung der Reststandzeit und daraus resultierend auch dem Verfehlen des ursprünglichen Begrünungsziels. Zudem muss in diesen Fällen während der Reststandzeit des Baumes mit kostenintensiven Kontroll- und Pflegemaßnahmen gerechnet werden.

Auch dann, wenn ein geschädigter und gefällter Altbaum durch eine größere Anzahl an Nachpflanzungen ersetzt wird, gilt, dass Jungbäume bereits rein biologisch betrachtet grundsätzlich nicht in der Lage sind, die Leistungen älterer Bäume zu erbringen (Abb. 13). Die wichtigen Ökosystemleistungen von Bäumen können aber auch nicht durch technische "Pendants" übernommen werden, wie beispielsweise Beschattungseinrichtungen, Klima- oder Luftfilteranlagen, CO2-Abscheider usw., denn diese sind Bäumen in ihrer ökologischen Bilanz vollständig unterlegen.

Fazit

Baumschutz lohnt und bewährt sich, und das insbesondere dann, wenn er bereits in der Planungsphase eines Projektes eingebracht und während der Realisierung konsequent umgesetzt wird.