Straßenbäume sind in der Geschichte unserer Städte verwurzelt

Die Kultur der Straßenbäume

Die Eigenschaften des idealen Straßenbaums. Eine Anfang des 20. Jahrhunderts in amerikanischen Städten weit verbreitete Abbildung, die von der Straßenbaumkommission der Stadt Newark, New Jersey, benutzt wurde, um auf die Charakteristika eines stadtfesten Straßenbaums aufmerksam zu machen.Grafik: "With the Vanguard", American City 4 (1911, S. 148).

2015 stellte die Naturbewusstseinsstudie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit fest, dass Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vor allem Bäume vor Augen hatten, wenn sie nach der Vegetation in der Stadt befragt wurden. Neben öffentlichen Parkanlagen maßen Befragte insbesondere den Bäumen und Pflanzen am Straßenrand eine sehr wichtige Bedeutung als Bestandteile der Stadtnatur bei. Die Stadtnatur als Ganzes wurde in erster Linie für das Wohlbefinden der Bevölkerung hoch eingeschätzt, gefolgt von ihrer Rolle als Lebensraum für Tiere und Pflanzen und für die Verschönerung der Stadt. Die ökonomische Bedeutung von Stadtnatur, zum Beispiel für die Steigerung des Marktwertes von Grundstücken und Gebäuden, wurde weniger hoch bewertet.

Diese in der Studie genannten Bedeutungen waren bereits für die systematische Bepflanzung entlang von Stadtstraßen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausschlaggebend. Auch die klimatische Funktion der Stadtbäume, die heute im Rahmen des Klimawandels und stärker werdender Klimaextreme zu erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit geführt hat, spielte bereits im 19. Jahrhundert eine Rolle und gehörte sogar zu den ausgewiesenen Gründen für die Bepflanzung der Städte. Zu einer Zeit, als es noch keine Klimaanlagen gab, konnte der kühlende Schatten der Baumvegetation das Wohlbefinden in heißen Sommern merkbar steigern.

Dennoch erschien es damals vielen Menschen noch als ein Paradox, dass in Städten der gemäßigten Klimazonen, wo oftmals die vorhandene Vegetation für den Städtebau entfernt worden war, nun wieder Bäume angepflanzt werden sollten: "Waldcharakter und städtischer Trubel mit seinem Schmutz, heilige Erhabenheit und Ruhe und profaner Lärm sind wohl zwei feindliche Dinge", schrieb der Landschaftsgärtner G. A. Schulze 1881 in einem Aufsatz, in dem er fragte: "Welches ist der Zweck der Straßenbäume im Innern der Großstadt und wie erfüllen sie denselben?"¹ Doch auch wenn Schulze den Zweck der neuen Straßenbaumpflanzungen kritisch hinterfragte, zweifelte er - wie die meisten seiner zeitgenössischen Kollegen - nicht daran. Zu groß waren die klimatischen und ästhetischen Vorteile städtischer Baumpflanzungen, die man bereits seit Jahrhunderten beobachtet hatte.

Natur und Stadt beziehungsweise Kultur schlossen sich tatsächlich nie aus und waren nie ein Gegensatz, wie hier von Schulze lediglich rhetorisch suggeriert. Kultivierte Natur in Form kleiner Nutzgärten war selbst in vielen mauergefassten, mittelalterlichen Städten bereits integraler Bestandteil. Im Allgemeinen lässt sich allerdings feststellen, dass Städte erst in der Moderne durch die Anlage öffentlicher Park- und Gartenanlagen, Kleingartensiedlungen sowie Straßenbaumpflanzungen weitgreifend "naturalisiert" wurden, während die Natur dabei "urbanisiert" wurde. Die Bedeutung, die diesen Grünräumen und Straßenbäumen im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte zukam sowie der Umgang mit ihnen, ist auch Ausdruck kultureller, sozialer, und politischer Entwicklungen und deshalb mintunter auch Spiegel gesamtgesellschaftlichen Wandels.

Heute stehen in der Stadtplanung und Stadtökologie insbesondere die Ökosystemleistungen der Straßenbäume im Vordergrund. Mit Hilfe von Berechnungsprogrammen wie i-Tree können Ökosystemleistungen von Bäumen entlang einzelner Straßen, ganzer Stadtteile oder einer Stadt ermittelt werden, was dazu beigetragen hat, dass der Stadtnatur in vielen Kontexten heute eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wird. So errechnete New York City zwischen 2005 und 2007, dass ihre Straßenbäume eine Ökosystemleistung im Wert von 122 Millionen Dollar produzierten. Das heißt für jeden Dollar, den die Stadt für Bäume ausgab, erhielt sie Ökosystemleistungen im Wert von 5,60 US-Dollar. Gemessen und errechnet werden können mit dem Softwareprogramm, dessen Grundlagen Anfang des neuen Jahrtausends von Wissenschaftlern des United States Forest Service und der University of California, Davis entwickelt wurden und das neben den USA derzeit auch in verschiedenen Ländern Europas, Asiens, und Südamerikas zum Einsatz kommt, allerdings in erster Linie die Kohlendioxidkompensationsleistung der Bäume, die Verringerung des Oberflächenwasserabflusses, ihre Leistungen als Schadstofffilter sowie die Energieeinsparungen, die sie durch ihren Schatten und ihre Verdunstung bewirken.

Die Quantifizierung oder gar Monetarisierung der kulturellen, ästhetischen und psychologischen Werte von Straßenbäumen gehört dagegen weiterhin zu einem Desideratum. Darin zeigt sich unter anderem, dass die Quantifizierung eine "Technologie der Distanz"² ist, die sich insbesondere für die unpersönliche Kommunikation jenseits der Grenzen einer Lokalität oder Kultur eignet, dabei aber die subjektiven, lokal spezifischen und weniger handfesten Qualitäten der Straßenbäume nicht berücksichtigt. Doch es sind gerade diese Qualitäten, zum Beispiel die identitätsstiftende Wirkung der Bäume; ihre Lebendigkeit und ihre tägliche und jahreszeitliche Transformation sowie ihre Form und Farbe, die Kontraste zur gebauten Architektur schaffen und das Rascheln ihrer Blätter im Wind, die Menschen dazu bewegen, sich mit ihnen verbunden zu fühlen und sich deshalb immer wieder für ihren Schutz und Erhalt einzusetzen.

Wie also haben sich Straßenbaumpflanzungen seit ihrer systematischen Einführung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt? Wie und von wem wurden sie wann und warum gepflanzt? Welche Rolle spielten sie im Städtebau und der Stadtentwicklung, und was sagt uns die Pflanzung und Pflege von Straßenbäumen sowie die Rezeption dieser Straßenbaumpflanzungen in unterschiedlichen Medien über das Verhältnis menschlicher und nichtmenschlicher Natur im Verlauf der letzten 150 Jahre? Diesen und anderen Fragen gehe ich in dem Buch Seeing Trees: A History of Street Trees in New York City and Berlin (Yale University Press, 2019) nach.

"Ich habe sooo einen Durst!!!" Schild an einer Baumhasel während des extrem heißen Sommers 2018, Stargarder Straße, Berlin.Foto: Sonja Dümpelmann

Als Bäume im späten 19. Jahrhundert erstmals im großen Stil systematisch an Straßenrändern gepflanzt wurden, waren New York City und Berlin nicht nur die größten, sondern auch die wichtigsten kulturellen Zentren der Vereinigten Staaten beziehungsweise des Deutschen Reiches. Forstwissenschaftler wie Bernhard Eduard Fernow und Carl Alwyn Schenck aus Deutschland verbreiteten die Grundlagen der Forstwissenschaft in Nordamerika, und zahlreiche junge Männer aus den USA ließen sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert an deutschen und französischen Forsthochschulen ausbilden. Bald trugen sie ihre Kenntnisse nicht nur zurück in die Vereinigten Staaten, wo viele von ihnen halfen, den United States Forest Service aufzubauen, sondern auch in die sich rasant vergrößernden Städte. Dort entwickelten sie spezifische Pflanz-, und Pflegemaßnahmen sowie Managementsysteme für Straßenbäume, von denen einige, darunter Techniken der Baumchirurgie, nach dem zweiten Weltkrieg insbesondere auch in westdeutschen Städten zum Einsatz kamen.

Berlin war zwischen 1870 und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges dank der systematischen, von dem neuen Stadtgartendirektor Gustav Meyer geförderten Straßenbaumpflanzungen zu einer der grünsten Städte Deutschlands aufgestiegen. Bis 1898 waren 46 000 Straßenbäume gepflanzt worden, und 1903 berichtete die Parkdeputation, dass insgesamt 70 Straßenkilometer mit Bäumen bepflanzt seien. Um die Jahrhundertwende galt die Reichshauptstadt, was seine Straßenbaumpflanzungen betraf, sogar als Modellstadt. Und das nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. So verwies der amerikanische Landschaftsarchitekt John Cuyler 1908 auf die zahlreichen, von der Berliner Stadtverwaltung gepflanzten Straßenbäume und empfahl der Stadt New York es Berlin gleichzutun. Cuyler arbeitete im Auftrag einer privaten Gesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, New York City durch die Pflanzung von Straßenbäumen nicht nur zu verschönern sondern auch abzukühlen.

Bereits in den 1870er-Jahren hatten Ärzte, Gesundheits- und Sozialreformer Straßenbaumpflanzungen gefordert, um unter anderem die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in der Stadt zu senken. Der städtische Wärmeinseleffekt war also schon damals bekannt, doch New York City war tatenlos geblieben. So machte es sich die 1897 gegründete private Baumpflanzgesellschaft zur Aufgabe, den Forderungen Taten folgen zu lassen. Zu den Mitgliedern der Gesellschaft gehörten einige der wohlhabendsten New Yorker, darunter Banker, Investoren und Unternehmer wie J. P. Morgan und William Collins Whitney. Sie finanzierten die Aktionen der Gesellschaft, die Bäume in den übervölkerten und engen Mietskasernenvierteln der Stadt pflanzte und durch Information über geeignete Baumarten und Pflanzweisen Privatleute zu Straßenbaumpflanzungen aufforderte.

Auch wenn sich die Stadtverwaltung schließlich doch ihrer Straßenbäume annahm, ist ihre Pflanzung in New York City nach wie vor auch heute von privaten Sponsorengeldern und der Pflege durch die Bevölkerung abhängig. Tatsächlich wird auch ein großer Teil der Bäume von gemeinnützigen Organisationen gepflanzt und gepflegt. Seit 1976 bietet die gemeinnützige Organisation Trees New York Bürgern der Stadt sogar eine von der Parkverwaltung zertifizierte Ausbildung zum Baumpfleger (citizen pruner) an, wodurch sich die Stadt tatkräftige Unterstützung erhofft. In den letzten Jahren, in denen die Stadt insbesondere durch die 2007 gestartete Baumpflanzkampagne MillionTrees NYC die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Baumbestand der Stadt gelenkt hat, hat die Bürgerbeteiligung an der Baumpflege einen erneuten Anschub erfahren. Derzeit bemüht sich die Stadtverwaltung unter anderem darum, eine ausgeglichene Verteilung von Straßenbäumen im Stadtgebiet zu erreichen, denn die ärmeren Stadtteile sind oftmals durch einen geringeren Baumbestand geprägt. Rassendiskriminierung und soziale Ungerechtigkeiten haben ihre Folgen auch im Baumbestand hinterlassen, sowie im menschlichen Verhältnis zu Bäumen im Stadtraum. Da Straßenbaumpflanzungen oftmals mit Gentrifizierung einhergehen, kommt es beispielsweise vor, dass sich BürgerInnen gegen Baumpflanzungen wehren, da sie Sorge haben, ihre Wohnung oder ihr Haus zu verlieren.

In den letzten Jahren forderten verstärkt Stürme ihren Tribut. Wirbelsturm Sandy stürzte 2012 in New York viele Bäume um.Foto: Central Park Conservancy

In Berlin haben die leeren Kassen in den letzten Jahrzehnten und der erhebliche Aufwand, der nach der Wende notwendig war, um zwischen Ost und West einen Kronenschluss zu ermöglichen - das heißt eine durch das gesamte Stadtgebiet stärker ausgeglichene Straßenbaumdichte - dafür gesorgt, dass auch hier private Sponsoren Stadtbaumpatenschaften übernehmen können und dadurch die Finanzierung von Neupflanzungen unterstützen. Interessierte Bürger sind zudem aufgefordert, Baumscheiben zu bepflanzen und zu pflegen. Näher dürfen sie den Bäumen allerdings nur beim Wässern in besonders starken Hitzeperioden kommen, denn dann ist die Mithilfe der Bevölkerung ebenfalls gefragt. Dennoch läuten derzeit wieder die Alarmglocken, denn der Straßenbaumbestand ist heute in allen Bezirken trotz großer Bemühungen und Erfolgszahlen in den ersten drei Jahrzehnten nach der Wende wieder stark rückläufig. Im vergangenen Sommer litten die Bäume unter der extremen Hitze und Dürre, und verstärkte Stürme in den letzten Jahren forderten ebenfalls ihren Tribut. 2018 wurden in allen Bezirken mehr Bäume gefällt als gepflanzt. Es fehlt das Geld für die Pflanzung und Pflege der Bäume. Und doch ist man sich ihrer Notwendigkeit bewusst.

Seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wird nicht nur systematisch und in meist regelmäßigen Abständen an Berliner Stadtstraßen gepflanzt, sondern es werden auch neue "industriefeste" Baumsorten gezüchtet. Baumschulbesitzer und Gartenarchitekten sind wie eh und je auf der Suche nach dem idealen Straßenbaum. Dieser "Musterbaum," beziehungsweise "Straßenbaum der Zukunft" oder "Normal-Straßenbaum," wie Aachens städtischer Obergärtner Carl Heicke 1896 die Krimlinde (Tilia euchlora) in Anlehnung an den sogenannten Normalbaum in der Forstwirtschaft nannte,³ muss den städtischen Bedingungen mit wenig Raum, verdichtetem Boden, Luft- und Bodenverschmutzung widerstehen können. Das für die Straßenbepflanzung zur Verfügung stehende Sortiment hat sich in Reaktion auf Studien, bei denen Bäume mitunter künstlich begast und Samen radioaktiv bestrahlt wurden, über die Jahre gewandelt. Es wird sich weiter verändern müssen, wenn trotz Klimakrisen und -wandel weiterhin Bäume an unseren Straßen wachsen sollen. In Deutschland finden dazu an verschiedenen Orten Studien statt, beispielsweise an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Beuth Hochschule für Technik Berlin.

Auch wenn lokale Standort- und Klimafaktoren ausschlaggebend für das Sortiment am Straßenrand sind, zeigt sich in der Baumartenverwendung nicht nur eine Identitätspolitik sondern auch die zunehmende Globalisierung. So war in den 1990er-Jahren einer der am häufigsten gepflanzten Bäume am Berliner Prachtboulevard Unter den Linden Tilia cordata 'Greenspire'. Der Baumschulbesitzer William Flemer III hatte diese Lindensorte in seiner Baumschule in Princeton, New Jersey, gezüchtet und 1961 in den USA patentiert. Umgekehrt waren die Lindenreihen des Berliner Boulevards in New York City sowie in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington bereits seit den 1880er-Jahren ein Vorbild, dem es nicht nur nachzueifern sondern das es auch zu übertrumpfen galt! In Washington wurde die Massachusetts Avenue über eine Länge von 6,5 Kilometern mit vier Lindenreihen bepflanzt. Die Zeitungen prahlten, dass die Allee das Berliner Model an Länge und Großartigkeit weit übertraf, denn letztendlich sei der deutsche Boulevard lediglich aufgrund seiner Geschichte nennenswert aber kaum wegen seines derzeitigen Zustandes.

"Die Linden" haben sich seit ihrer Anlage im 17. Jahrhundert zu einem Wahrzeichen der Stadt entwickelt. Immer wieder hatten die preußischen Könige, Einwohner und die städtische Verwaltung die Bäume vor Zerstörung geschützt und nachgepflanzt. Der öffentliche, im Sommer schattenspendende Reitweg, dann Baumgang und später Boulevard, hatte zu verschiedenen Zeiten eine räumlich vereinende Wirkung. Er förderte eine kollektive Identität innerhalb einer Bevölkerung, die bis zur Gründung Groß-Berlins 1920 sowie erneut zwischen 1949 und 1990 in unterschiedlichen Städten angesiedelt war. Zwischen 1920 und 1949 sowie erneut seit 1990 stehen "die Linden" im Zentrum der Stadt. Bereits wenige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Bäume auf dem ehemaligen Boulevard ersetzt, und in den folgenden Jahrzehnten wurde die Straße trotz ihrer mauernahen Randlage in der Hauptstadt der DDR mehrfach Objekt von Umgestaltungsplanungen, die ihre Attraktivität steigern sollten.

Unter den Linden, Berlin, ca. 1890–1900.Foto: Library of Congress Prints and Photographs Division, Detroit Photographic Company

Obwohl Fachleute alleeartige Baumpflanzungen an Großstadtstraßen im sozialistischen Deutschland mitunter als Relikte einer "überwundenen, feudalistisch beeinflussten Epoche" bezeichneten, überlebte Unter den Linden. Diese Kontinuität und die Aneignung "der Linden" durch verschiedene Herrscher, Regierungen und Bürgerschaften im Laufe der Jahrhunderte steht im Gegensatz zum nach Ministerratsbeschluss der DDR unternommenen Abriss des kriegsgeschädigten Berliner Schlosses im Jahr 1950. Als Natur erschienen die Bäume apolitisch und gutartig, und sie waren ein neutraler Namensgeber für den berühmten Boulevard, der ursprünglich Neustädtische Allee und Dorotheenstädtische Allee hieß.

Die Linden waren also in jeder Hinsicht formbar genug, um sie den jeweiligen Gestaltungs- und Herrschaftsideen der verschiedenen Jahrhunderte anzupassen. Paradoxerweise sind es also gerade die der Natur der Bäume inhärente Vergänglichkeit, Unbeständigkeit, Veränderlichkeit und Verwundbarkeit, die sie zu einem der dauerhaftesten und langlebigsten Elemente des Berliner Städtebaus gemacht haben. Trotz ästhetischer und funktionaler Vorzüge regelmäßiger Straßenbaumbepflanzung, die sich leicht pflegen lässt und ein angenehmes Straßenbild mit einer durchgehenden sommerlichen Schattenlinie erzeugt, gab es nicht erst im sozialistischen Deutschland Zweifel an dieser Pflanzweise. Bereits im neunzehnten Jahrhundert fürchteten sogar Baumbefürworter die potentielle Monotonie und den Korridoreffekt regelmäßiger Straßenbepflanzung. Argumente gegen eine Reihenpflanzung und für unregelmäßige Baumgruppen - sofern dafür Platz im Straßenraum vorhanden war - fanden insbesondere in den 1930er-Jahren Anklang: sie sparten Pflegearbeit, konnten durch ihre naturnahe Gestaltung der Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten effektiveren Ausdruck verleihen und boten einen besseren Schutz gegen Luftangriffe.

Dieser Nutzen von Straßenbäumen war auch in den Vereinigten Staaten ein Thema. Der Entomologe und Baumexperte Ephraim Porter Felt erwog Ende der 1930er-Jahre sogar, die Luftschutzfunktion auch bei der Berechnung des Baumwertes zu berücksichtigen, obwohl er zugab, dass es schwierig werden würde, eine angemessene Formel zu finden. Wie andere Experten während des Krieges, wies auch seine Entomologen-Kollegin Cynthia Westcott darauf hin, dass Insektizide nicht allein in der Nahrungsmittelproduktion, sondern auch zum Schutz der Straßenbäume eingesetzt werden sollten, um Luftschutz zu gewährleisten.

Aber Straßenbäume dienten während des Zweiten Weltkrieges nicht nur als Tarnung. In Kriegszeiten und während des Kalten Krieges boten sie trotz ihrer Unbeständigkeit, Veränderlichkeit und Verwundbarkeit Mittel zur Verteidigung. In den letzten Wochen der Schlacht um Berlin wurden sie als Panzersperren eingesetzt. Ebereschen, die insbesondere Wohnstraßen zierten, wurden gezählt, um die Fruchtmenge zu schätzen, die sie für die Vitaminversorgung der Bevölkerung liefern könnten. Im Zuge weiterer, zum Teil notgedrungener Autarkiebestrebungen boten Straßenbäume während und nach dem Krieg nicht nur Teeersatz - Lindenblüten waren eine gefragte Ressource -, sondern auch wertvolles Feuerholz. Der Straßenbaumbestand war in Berlin von rund 415 600 vor dem Krieg auf etwa 160 900 dezimiert worden. Als in West-Berlin während der Berliner Blockade unter heftigen Protesten der Bevölkerung aller Sektoren jeder zweite Straßenbaum für Feuerholz gefällt wurde, nutzte die kommunistische Presse die Ereignisse, um den Kalten Krieg zu schüren.

Wenige Jahre später zeigte sich die Konkurrenz zwischen West- und Ost-Berlin auch in den Neupflanzungen. Die staubbindende Kapazität der Bäume, ihre klimaverbessernde, ästhetische sowie ihre schalldämpfende Wirkung, die im Zuge der zunehmenden Motorisierung immer wichtiger wurde, führten dazu, dass ihnen in Ost und West beim Wiederaufbau eine große Bedeutung beigemessen wurde. In der DDR wurde das in den 1950er-Jahren begonnene Pappelanbauprogramm, mit dem Holz und Zellstoff produziert werden sollte, in den 1960er-Jahren auch auf Ostberlin ausgedehnt, um innerstädtische Brachen und Trümmerflächen vorübergehend zu verschönern und Staub zu binden. Schnellwüchsige Pappeln gehörten auch in den Ostberliner Neubaugebieten zum standardisierten Pflanzmaterial. 20 Prozent der in den Gebieten verwendeten Bäume sollten Pappeljungbäume sein, um eine möglichst schnelle Begrünung zu gewährleisten.

In New York City verwandelten andere Krisen Straßenbäume in eine wertvolle Holzressource. Der Kastanienrindenkrebs, der Anfang des 20. Jahrhunderts Kastanien in New Yorker Parks und Straßen befiel, führte 1912 zu einer großflächigen Rodung dieser Bäume, deren Holz insbesondere für die Versorgung der armen Bevölkerung bereitgestellt wurde. Auch während der Kohleknappheit beim Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg wurde der armen Bevölkerung Astholz und Holz von gefällten Park- und Straßenbäumen überlassen. Die Ulmenkrankheit sowie zwei starke Wirbelstürme in den Jahren 1938 und 1944 führten ebenso dazu, dass der Bevölkerung Brennholz von Straßen- und Parkbäumen angeboten wurde. Tatsächlich war die Parkverwaltung aufgrund ihrer schlechten Haushaltslage bei der Holzbeseitigung auch auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren Landschaftsarchitekten in Westdeutschland erstaunt als sie feststellten, mit welchem Eifer und mit welcher Kreativität ihre ostdeutschen Kollegen Baumbepflanzungskonzeptionen insbesondere für die Straßen in neuen Stadtteilen erstellt hatten. Es kam zwar unter anderem aufgrund fehlender und schlechter Baumschulware selten zu einer vollen Realisierung der Konzepte und Pläne - hochwertige Bäume wurden in den Westen verkauft. Aber es wurde getüftelt an der Verbesserung von Pflanz- und Hackmaschinen, der Rationalisierung der Pflanzenproduktion, Baumpflanzung und -pflege.

Als in den 1970er-Jahren Tausalz und Autoabgase Bäume in Ost- und West-Berlin zunehmend sichtbar schädigten traten beiderseits der Mauer Umweltaktivisten auf den Plan. Zudem entwickelte sich ein neues umwelt- und sozialpolitisches Kunstgenre - die Straßenbaumkunst - und Künstler wie Ben Wargin in West-Berlin und Manfred Butzmann in Ost-Berlin kritisierten mit ihrer Arbeit die Untätigkeit der jeweiligen städtischen Verwaltung. Es waren unter anderem diese bereits vor dem Fall der Mauer bestehenden Bürgerinitiativen und Kunstaktionen, die für die vielfältigen städtischen und basisdemokratischen Pflanzinitiativen nach der Wende einen fruchtbaren Boden bereiteten. Menschen aus Ost und West kamen zusammen, um entlang von Straßen, auf dem ehemaligen Mauerstreifen, und in Parks Bäume zu pflanzen.

In Brooklyn stieß die Afro-Amerikanerin Hattie Carthan mit einem Nachbarschaftsverein in den 1960er-Jahren Straßenbaumpflanzungen an.Foto: Infonerd~enwiki, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

In den Vereinigten Staaten waren Straßenbaumpflanzungen ebenfalls wichtiger Bestandteil verschiedener basisdemokratischer Bewegungen, insbesondere der Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen. So war die Bepflanzung der Hauptstraße in Stockbridge, Massachusetts, mit Amerikanischen Ulmen die erste Maßnahme des ersten im 19. Jahrhundert von Frauen gegründeten Dorfverschönerungsvereins. Verschiedene Frauenvereine standen auch hinter den Initiativen systematischer Straßenbepflanzung in Chicago und New York City. Hatten sich diese Vereine schon früh der Erhaltung der Wälder gewidmet, so trugen sie dieses Naturschutzinteresse um die Jahrhundertwende auch in die Stadt.

In Chicago waren es Anfang des 20. Jahrhunderts die Women's Outdoor League und der Women's Club, die die Anstellung eines Stadtförsters forderten und auch bekamen. In New York City waren 16 Prozent der Gründungsmitglieder der privaten Baumpflanzgesellschaft Frauen, eine Zahl, die sich bis 1904 auf 25 Prozent erhöhte. 1908/09 setzte sich die Women's Municipal League für Baumpflanzungen rund um den Washington Square ein, und der von Frauen 1918 gegründete City Gardens Club richtete Anfang der 1920er-Jahre eine Baumpflanzkommission ein. Diese war unter anderem federführend bei der Pflanzung von Straßenbäumen zu Ehren der im Ersten Weltkrieg gefallenen amerikanischen Soldaten, einer Aktion, die in vielen Städten der USA durchgeführt wurde.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren Straßenbaumpflanzungen für Frauen ein Mittel gewesen sich aus der Intimsphäre des Hauses zu befreien und den öffentlichen städtischen Raum zu erobern. Straßenbaumpflanzungen waren also Material und Methode, einen öffentlichen Raum zu schaffen und zu markieren, in dem sich Frauen und später während der Bürgerrechtsbewegung Afro-Amerikaner ungehindert aufhalten konnten.

So stieß die Afro-Amerikanerin Hattie Carthan mit dem von ihr gegründeten Nachbarschaftsverein in den 1960er Jahren Straßenbaumpflanzungen an. Beispielhaft zeigte sie, wie Bäume nicht nur einen Stadtteil verschönern und sicherer machen konnten, sondern auch wie eine basisdemokratische Bewegung die Stadtverwaltung dazu bringen konnte, mehr Mittel für Straßenbäume bereitzustellen. Angestoßen durch Carthan's Initiative und Engagement organisierte die Parkverwaltung unter Bürgermeister John Lindsay das "tree matching program," in dem die Stadt für alle vier von einem Nachbarschaftsverein gepflanzten Bäume sechs dazugab. Bald gründeten die Stadtteilaktivisten auch eine gemeinnützige Organisation, die Kindern und Jugendlichen Unterricht in Baum- und Gartenpflege erteilte, so dass sie schließlich die Straßenbäume in ihrem Quartier pflegten und dafür eine bescheidene Geldzuwendung bekamen. Für Carthan und ihre Afro-amerikanischen MitstreiterInnen waren Straßenbaumpflanzungen ein Weg, sich den öffentlichen Raum und damit das Recht an der von Segregation und Diskriminierung geprägten Stadt wiederzuerobern.

Ein Blick zurück in die vielfältige und konfliktreiche Geschichte der Straßenbäume kann Möglichkeiten und Wege aufzeigen für eine grünere und gerechtere städtische Zukunft.

Literatur

¹ Schulze, G. A.: Welches ist der Zweck der Straßenbäume im Innern der Großstadt und wie erfüllen sie denselben?, in: Sammlung gemeinnütziger Original-Vorträge und Abhandlungen auf dem Gebiete des Gartenbaues, Serie II, 4, 1881, S. 13.

² Siehe Porter, Theodore M.: Trust in Numbers. The Pursuit of Objectivity in Science and Public Life, Princeton University Press 1995.

³ Schulze, G. A.: Welches ist der Zweck der Straßenbäume im Innern der Grossstadt und wie erfüllen sie denselben?, in: Sammlung gemeinnütziger Original-Vorträge und Abhandlungen auf dem Gebiete des Gartenbaues, Serie II, 5, 1881, S. 5-16; Heicke, C.: Die Baumpflanzung in Straßen der Städte, Neudamm 1896, S. 20.