Studierende auf Spurensuche nach Johann Peschel am Schloss Kannawurf

Der verschwundene Garten

Das Schloss von Nordosten aus gesehen, im Vordergrund das momentan völlig verwilderte Areal des ehemaligen Gartens.Foto: Johannes Schwarzkopf

Die Gemeinde Kannawurf liegt heute im Landkreis Sömmerda im Norden Thüringens. Bekanntere Orte im weiteren Umfeld sind Sondershausen mit seinem Schloss und seinen Gärten oder die Stadt Bad Frankenhausen, wo 1525 eine der letzten großen Schlachten des Bauernkrieges geschlagen wurde - Thema des zwischen 1979 und 1987 entstandenen und bis heute umstrittenen Monumentalpanoramas von Werner Tübke. Die Rotunde, die es beherbergt, bildet heute eine der räumlichen Dominanten der Vorgebirgslandschaft südlich des Harzes. Das trifft auch auf das gleichfalls monumentale Kyffhäuserdenkmal zu, das 1890 bis 1896 zu Ehren Kaiser Wilhelms I. errichtet wurde.

Im kleinen, südlich der Höhenzüge Kyffhäuser und Hainleite gelegenen Kannawurf ließ bis 1563 der kurfürstliche Rat Georg Vitzthum von Eckstedt ein Renaissanceschloss erbauen. Bis heute präsentiert es sich als dreiflügelige, vielgiebelige Anlage. Nach Osten wird sie von einer Schildmauer abgeschlossen, in die der beherrschende runde Turm des Schlosses einbezogen wurde. Die westorientierten Ecktürme weisen in ihren Erdgeschossen noch Verteidigungseinrichtungen auf. Doch die naturräumlich gesehen ungeschützte Lage des Baues weist bereits darauf hin, dass hier wie bei zahllosen vergleichbaren Anlagen die Metamorphose von der wehrhaften Burg zum repräsentativen Schloss vollzogen wurde. Es verwundert also nicht, dass diesem Komplex ein Garten zugeordnet war, der ihn auf seiner Nord- und Ostseite umschloss und den zeitgemäß hohe Mauern umgaben. Das Ensemble aus Schloss und Garten blieb über Jahrhunderte nahezu unverändert, bis dem Schloss nach 1860 große Wirtschaftsgebäude zugeordnet wurden. Mit Ihnen zusammen bildet es bis heute ein eindrucksvolles Ensemble am Ostrand des Dorfes. Eine Karte aus dem Jahre 1901 zeigt, dass der Garten zu dieser Zeit immer noch erhalten und nach wie vor von Mauern umgeben war. Er hatte mittlerweile eine Umgestaltung zum Landschaftsgarten erfahren, der unter den Zwängen des rechtwinkligen Geländezuschnitts allerdings merkwürdig strenge Formen aufwies. Ob bei der "Verlandschaftung" Wegeaufbauten und -begrenzungen der vormaligen formalen Phase genutzt wurden, wird vermutlich nicht mehr nachzuweisen sein. 1914 wurde aus dem Gut eine Staatsdomäne. Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte man die Anlage zum volkseigenen Gut. Die Neu- und Umbauten zum landwirtschaftlichen Großbetrieb führten allerdings zum Totalverlust des Gartens. Er verschwand unter Betonplatten, Ställen und Silos.

Bewusst verfremdete Parterreanlage aus mosaikartig angeordneten unterschiedlichen Feldern, Plan ausnahmsweise gesüdet.

In dieser Phase verwahrloste auch das Schloss immer mehr, bis in den 1980er Jahren der Nordflügel einstürzte. Notsicherung und Sanierungsmaßnahmen nach der politischen Wende 1989 konnten den weiteren Verfall oder noch Schlimmeres verhindern. Seit 2007 beherbergt das mittlerweile wieder sehr stattliche und immer noch in Sanierung befindliche Schloss das Künstlerhaus Thüringen. Nur der Garten blieb bisher verschwunden.

Auf den Spuren Johann Peschels

Außer der erwähnten Karte von 1901 und alten Fotografien gibt es keine bekannten Zeugnisse, die über das Aussehen des Gartens in früheren Phasen Auskunft geben. Im Analogieschluss ist allenfalls anzunehmen, dass der Verlauf der Umfassungsmauer von 1901 dem der ursprünglichen Gartenanlage entspricht. Es gibt noch eine kleine Chance, dass demnächst anstehende gartenarchäologische Grabungen weitere Hinweise auf die Umrisse des Gartens, auf Wegeverläufe und Materialien geben. Ob dabei noch Spuren des ursprünglichen Renaissancegartens nachzuweisen sind, bleibt abzuwarten.

Vorerst aber deuten nur ein Mauerfragment und zwei Zugänge auf die ehemalige Gartenanlage hin. Etwas Entscheidendes ist dennoch überliefert: Der ursprüngliche Entwurf stammte von keinem Geringeren als dem bedeutenden Gartentheoretiker Johann Peschel (um 1535-1599). Er war Landgeistlicher in Thüringen, gleichzeitig aber auch Verfasser eines der wichtigsten Gartenbücher der Renaissance. In seiner 1597 veröffentlichten "Gartenordnung" präsentierte er als einfache Holzschnitte Musterentwürfe für Ziergärten, Labyrinthe und Obstgärten (siehe Abbildung oben). Zudem vermittelte er in anschaulichen Texten sein reichhaltiges gärtnerisches Wissen. Bis auf wenige Ausnahmen sind offenbar nicht ortsbezogene Idealentwürfe für Parterres dargestellt. Sie zeigen ein reiches Spektrum geometrischer Formen, ohne allerdings die Raffinesse italienischer Pendants zu erreichen. Das Dargestellte bleibt grafisch zweidimensional. Räumliche Bezüge, etwa zu Gebäuden und Landschaften, werden nicht thematisiert. Dennoch stellt Johann Peschels Gartenordnung heute natürlich eine wichtige Quelle zur Gartenarchitektur dieser Zeit dar. Entsprechend gewürdigt hat sie Clemens Alexander Wimmer in seiner 1989 erschienenen "Geschichte der Gartentheorie".¹ Er war es auch, der 2000 die Gartenordnung als Faksimile herausgegeben und mit einer ausführlichen Einführung versehen hat. In deren Titel bezeichnet er das Werk immerhin als "das älteste europäische Gartenkunstbuch".²

Das Hochschulprojekt

Vor Ort ist also eine komplizierte, aber reizvolle Ausgangssituation vorzufinden. Zudem entsteht aktuell Handlungsbedarf, weil über Ausgleichszahlungen sehr bald Mittel in größerem Umfang für die Revitalisierung des Gartens zur Verfügung stehen werden. Auch diese momentan geführte Diskussion um einen angemessenen Umgang mit dem Gesamtensemble bot uns einen willkommenen Anlass, den Spuren des Gartens und seines Autors nachzugehen. Die formale Plattform dafür bot Modul MLA2.08 - Theorie und Praxis der Gartendenkmalpflege, das sich mittlerweile zu einer zentralen Veranstaltung der Vertiefungsrichtung "Freiraumplanung und Gartendenkmalpflege" im Masterstudiengang Landschaftsarchitektur der Fachhochschule Erfurt entwickelt hat. Das Modul wird jeweils im 2. Semester des Masterstudiengangs angeboten. Im vorletzten Sommer ging es dabei um einen Garten ohne Schloss, nämlich den Schlosspark Putbus auf Rügen, und im letzten Jahr um eine mögliche Wiederbelebung der ausgedehnten Wirtschaftsbereiche um das ehemalige Kloster Neuzelle in Brandenburg.

Kombination eines klassischen Parterres mit modernen Beetsequenzen und variabel bespielbarem Rasenparterre.Autorinnen: Maike Kosanke und Juliane Röder

Die inhaltlich-gedankliche Basis für die Annäherung an eine Neuformulierung des Schlossgartens in Kannawurf bildeten natürlich die gartentheoretischen Überlegungen Johann Peschels, die er in der erwähnten "Gartenordnung" von 1597 niedergelegt hat. Ausgangsbasis aller weiteren Überlegungen war allerdings auch, dass von den Gartenanlagen vermutlich bestenfalls fragmentarische Fundamente erhalten sein dürften und die genauen Entwürfe nicht überliefert sind. Die Aufgabe bestand daher darin, sich zunächst grundsätzlich über ein angemessenes Vorgehen Gedanken zu machen. Eine Rekonstruktion des Gartens ist nicht möglich, da genaue Pläne und Angaben hierzu fehlen. Außerdem entspräche dieses Vorgehen nicht den Grundsätzen moderner Denkmaltheorie. Denn dann würde der neue Garten so tun, als ob er alt wäre. Die tatsächlich vorhandene Denkmalsubstanz der Gebäude und Pflasterflächen wäre von den heute ergänzten Gartenanlagen letztlich nicht zu unterscheiden.

Wie war also vorzugehen? Die erste Phase bestand in einem vertiefenden Einstieg in den Themenkomplex Gartendenkmalpflege. Die Studierenden setzten sich mit ihrer Entwicklung, ihrem Instrumentarium und ihren - durchaus kontroversen - Positionen auseinander. Dem folgte die Beschäftigung mit der Geschichte der Anlage und natürlich mit Peschels "Gartenordnung". In einem mehrtägigen Workshop vor Ort im April dieses Jahres konnte nochmals konzentriert in die Thematik eingestiegen werden. Er bot die Gelegenheit, sich umgebende Landschaftsräume, Dorf, Schloss und ehemaliges Gartenareal genau anzusehen und die Atmosphäre dieses einprägsamen Ortes zu erleben.

Die studentischen Konzepte

All diese Vorarbeiten bildeten lediglich die Grundlage für die wichtigste und letzte Arbeitsphase, in der in 2er-Gruppen die individuellen Konzepte zur Gestaltung des Gartens entstanden. Die Ausstellung der Arbeiten ist bis zum Tag des offenen Denkmals am 8. September noch im Rittersaal des Schlosses Kannawurf zu sehen. In jedem der neun erarbeiteten Konzepte wird der Anspruch deutlich, an das Wirken Peschels zu erinnern und hier wieder einen Garten entstehen zu lassen, der dem Schloss angemessen ist. Gleichzeitig verdeutlichen die Konzepte in unterschiedlicher Weise das Ziel trotz oder gerade wegen der Achtung aller historischen Bindungen hier einen zeitgemäßen Garten zu entwerfen, der den Verlust der Anlage nicht leugnet und der heutige Nutzungsvorstellungen mit einbezieht. Dabei unterscheiden sie sich allerdings sehr.

Auch hier das Parterre vor dem Schloss, allerdings kombiniert mit einem gliedernden Band aus Birkenhain und Giardino segreto.Autoren: Tina-Lina Kraus und Christopher Nief

Eine einzige Arbeit geht von der These aus, die gesamte Gartenanlage könnte aus einem Raster der idealen quadratischen Parterrekompartimente Peschels bestanden haben, renaissancetypisch mit unterschiedlicher Ornamentik der einzelnen Beete. Denn das Zusammenziehen der Felder zu einem einzigen großen Bild folgte erst im Barock. Die Autoren wollen ihr Layout allerdings deutlich als Neuinterpretation kenntlich machen, indem sie eine erkennbar moderne Lust an der Geometrie entwickeln. Der Anspruch, hier eine Transformation zu schaffen, wird auch dadurch deutlich, dass die Muster zur nördlichen und östlichen Umfassungsmauer hin in Rasenflächen übergehen. Gut lässt sich an diesem Entwurf auch eine von vielen Arbeitsgruppen gewählte neue Zugangslösung erkennen: Die Besucher werden durch Lücken in der wiederhergestellten Umfassungsmauer von Norden her über den ehemaligen Wirtschaftshof in den neuen Garten geleitet. Das können sich auch die Akteure vor Ort gut vorstellen, weil auf den Angerbereichen nördlich des Gartens am besten die Besucherparkplätze unterzubringen sind. Empfangen werden die Besucher in einem Entreegebäude, das auch real aus der Ruine eines kleinen Wirtschaftsgebäudes entstehen soll, in dem zuletzt Wiegeeinrichtungen für landwirtschaftliche Fahrzeuge untergebracht waren (siehe Abbildung Seite 16 unten).

Zwei weitere Konzepte legen ebenfalls das quadratische Grundelement nach Peschel zugrunde, machen aber beide durch eine Verfremdung des Grundrisses deutlich, dass die Verwendung dieses Elements nur auf einer Annahme beruht. Im einen Fall werden die Quadrate, die Peschel folgend übrigens ein Seitenmaß von 14,30 Meter (= 26 Erfurter Ellen) haben, bewusst dem Grundraster gegenüber verschoben (siehe Abbildung Seite 17 oben). Im anderen Fall definieren die Autorinnen nur zwei Eckpunkte des Gartens durch modern vereinfachte Felder in den eben genannten Maßen. Die Parterreanlage selbst stellen sie durch unregelmäßig angeordnete, unterschiedlich große quadratische und rechteckige Felder dar, die als einfache Rasen- oder Blumenfelder ausgeführt oder von Hecken umsäumt sein können. Das so entstehende Mosaik will veranschaulichen, dass für eine weitere Annäherung an den Urentwurf die Hinweise fehlen. Gleichzeitig soll hier aber eine Grundqualität von Renaissancegärten zum Tragen kommen, aus der Addition wohl gesetzter Elemente ein Ganzes zu komponieren (siehe Abbildung Seite 17 unten).

Deutlich modern interpretierter formaler Garten unter Einbeziehung eines Heckentheaters. Im Süden die Ruine eines Stalles, die wie in vielen Konzepten zum Giardino segreto wurde (u.).Autorinnen: Janina Bader und Mareike Gremmer

In Peschels Gartenordnung sind außer Idealentwürfen auch unregelmäßig geformte Layouts zu finden, die auf Anpassungen an konkrete Grundstücksverhältnisse schließen lassen. Von dieser Annahme geht auch einer der studentischen Entwürfe aus, der den Garten als große zusammenhängende Anlage interpretiert, bei der die von Peschel benannten Spaliere zwischen den Quartieren durch schwenkbare Holzwände ersetzt werden. Baumreihen rahmen das Parterre und lassen reizvolle "Zwischenräume" entstehen (siehe Abbildung Seite 18 oben).

Wiederum auf Peschels "Urquadrat" basieren einige weitere Konzepte, kombinieren es aber bewusst mit frei formulierten Gartenbereichen. In diesen Fällen kommt ein komplizierter Aspekt gartendenkmalpflegerischen Arbeitens besonders zum Tragen: das Einbeziehen aktueller oder möglicher Nutzungen, die nicht mit der ursprünglichen Rolle des Gartens übereinstimmen müssen. Dass der ursprüngliche Entwurf nicht überliefert ist, eröffnet Spielräume, um heutige Bedürfnisse mit einzubeziehen, vor allem Aspekte der spezifischen Nutzung als Künstlerhaus oder auch künftiger touristischer Anziehungspunkt. Beispielsweise werden der Renaissance entlehnte Parterrekompartimente bewusst mit Elementen aktueller Landschaftsarchitektur kombiniert, die mit ihnen zwanglose Raumfolgen bilden, aber auch Zäsuren schaffen können (siehe Abbildungen Seite 18 unten und Seite 19). Schlichte, freie Räume lassen das Schloss erleben, können aber auch zu Plattformen für unterschiedlichste Nutzungen werden (siehe Abbildung links oben). Dabei sehen die Autorinnen dieser Konzepte das Einbringen veränderter Nutzungsbedingungen nicht als willkürliches Anpassen an heutige Verhältnisse, sondern auch als Ausdruck des Transformierens und Neuinterpretierens. Sehr deutlich wird das an einem Entwurf, der dem derzeitigen Schwerpunkt des Künstlerhauses Thüringen durch Integration eines Heckentheaters Ausdruck zu verleihen sucht (siehe Abbildung links unten).

Die Annäherung an eine ziemlich knifflige Aufgabe hat erfreulich unterschiedliche Konzepte hervorgebracht. Zu ergänzen ist, dass die Umgebung des Schlosses, seit Kriegsende zunehmend durch Siedlungswildwuchs beeinträchtigt, derzeit durch weitere Bebauungspläne bedroht ist - auch ein Grund für entsprechende Sichtschutzpflanzungen in einigen Konzepten. Der Schlossgarten wird in den kommenden Jahren tatsächlich wiedergeboren, und die hier gezeigten Konzepte sind hoffentlich hilfreich für den bereits einsetzenden Diskussions- und Entscheidungsprozess. Bleibt allen Akteuren eine glückliche Hand bei der Umsetzung dieses reizvollen, aber schwierigen Vorhabens zu wünschen.

Anmerkungen

1) Siehe Wimmer, Clemens Alexander (1989): Geschichte der Gartentheorie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 67-78.

2) Siehe Peschel, Johann (2000): Garten Ordnung/Darinnen ordentliche Warhaftige Beschreibung/wie man aus rechtem Grund der Geometria einen nützlichen und zierlichen Garten … anrichten sol. Neudruck der Ausgabe Leipzig 1597. Herausgegeben und erläutert von Clemens Alexander Wimmer. Nördlingen: Verlag Dr. Alfons Uhl, S. 5.

Johannes Schwarzkopf