Nachbarschaftsstreit

Beseitigung von überhängenden Ästen

Wenn Äste von Bäumen auf das Nachbargrundstück reichen, kann der Eigentümer verpflichtet werden, sie zurückzuschneiden, insbesondere wenn Gefahr für Leib und Leben bestehen könnte.Foto: Denise, pixelio.de

Die Parteien eines Rechtsstreits, der vom OLG Koblenz mit Beschluss vom 08.10.2013, Az. 3 U 631/13 entschieden wurde, waren Nachbarn. Ihre Grundstücke befanden sich in einem Bereich, der nahe am Wald gelegen war. Vom Grundstück des einen Nachbarn ragten die Äste von Nadel- und Laubbäumen in einer Länge von bis zu sieben Metern auf das Grundstück des anderen Nachbarn und späteren Klägers herüber. Nachdem der Kläger den Nachbarn mehrfach unter Fristsetzung zum Rückschnitt der Äste aufgefordert hatte und dies ohne Erfolg blieb, schritt der Kläger zur Selbsthilfe. Er beauftragte einen sachkundigen Unternehmer mit der Beseitigung der Äste von etwa 80 Bäumen und verlangte vom Nachbarn die Erstattung der hierfür angefallenen nicht unerheblichen Kosten.

Erstattung der Kosten für den Rückschnitt begründet

Als sich der Nachbar weigerte, die Unternehmerrechnung zu begleichen, wurde Klage erhoben. Das OLG Koblenz hielt die Klage auf Erstattung der Kosten für den Rückschnitt für begründet.

Das OLG Koblenz sah die Voraussetzungen des im § 910 Abs. 1 BGB geregelten Selbsthilferecht als gegeben an. Demnach kann ein Grundstückseigentümer vom Nachbargrundstück überhängende Äste und Überwuchs nach fruchtlosem Ablauf einer dafür gesetzten Frist selbst beseitigen oder beseitigen lassen. Da die Überhänge der Äste erheblich waren und zudem einige Äste mit größerem Durchmesser bereits abgestorben waren, sah das Gericht sowohl eine erhebliche Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks als auch eine Gefahr für Leib und Leben als gegeben an. Da der Nachbar seiner Beseitigungspflicht trotz Fristsetzung nicht nachgekommen war, musste er auch die dem Kläger entstandenen Kosten erstatten.

Dieses Selbsthilferecht des Grundstückseigentümers aus § 910 Abs. 1 BGB gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Dies zeigt ein Fall, in dem der eine Nachbar die vom Grundstück des anderen Nachbarn überhängenden Äste einfach abgeschnitten hatte.

Nach einem Urteil des Oberlandesgericht Frankfurt vom 15.06.2011, Az. 4 U 240/9 war dies rechtswidrig. Es ist einerseits zu beachten, dass nach § 910 Abs. 1 BGB zunächst eine angemessene Frist zur Beseitigung der herüber hängenden Äste und Zweige gesetzt wird und diese fruchtlos abläuft. Ferner ist gemäß § 910 Abs. 2 BGB darauf zu achten, dass von den herüber hängenden Zweigen eine Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung ausgehen muss, damit das Selbsthilferecht besteht. Maßgebend dafür ist ein objektiver Beurteilungsmaßstab. Allerdings trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvorliegen einer Beeinträchtigung durch den Überwuchs von Ästen und Zweigen der Nachbar, dem die verursachenden Pflanzen gehören.

Eine weitere Einschränkung des Selbsthilferechts kann sich daraus ergeben, dass der Rückschnitt zur - durch den Überwuchs ausgelösten - Störung außer Verhältnis steht. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn durch den Rückschnitt ein Absterben des Baums hervorgerufen werden würde. Dies käme der Beseitigung des Baums gleich, die über § 910 BGB gerade nicht verlangt werden kann.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass ein Selbsthilferecht aus § 910 BGB durch örtliche Baumschutzsatzungen eingeschränkt werden kann. In einem vom OLG Hamm mit Beschluss vom 06.11.2007, Az. 3 Ss OWi 494/07 entschiedenen Fall wurde ein Grundstückseigentümer wegen des Verstoßes gegen eine örtliche Baumschutzsatzung zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt. Der Grundstückseigentümer hatte in den Schutzbereich der Baumschutzsatzung fallende Bäume des Nachbargrundstücks, von denen Äste auf sein Grundstück herüber ragten, unter Annahme eines Selbsthilferechts aus § 910 BGB zurückgeschnitten.

Eine Baumschutzsatzung kann die Selbsthilfe wirksam einschränken

Das OLG Hamm entschied jedoch, dass eine rechtmäßige örtliche Baumschutzsatzung das Selbsthilferecht aus § 910 BGB wirksam einschränken kann. Bei einer Baumschutzsatzung handele es sich um ein für jedermann geltendes Recht, durch das ein zivilrechtliches Selbsthilferecht aus § 910 BGB wirksam begrenzt werde. Demnach ist das Selbsthilferecht aus § 910 BGB insoweit eingeschränkt, als die Baumschutzsatzung das Beschneiden von geschützten Bäumen einschränkt oder verbietet, beziehungsweise nur im Rahmen der ordnungsgemäßen und in der Satzung geregelten Pflege zulässt. Der beeinträchtigte Nachbar ist dann gehalten, sein Selbsthilferecht nur in dem durch die Baumschutzsatzung begrenzten Maß auszuüben. Möglich ist auch, eine Ausnahmegenehmigung nach den Vorschriften der Satzung zu beantragen.

Sofern keine Ausnahmegenehmigung erteilt wird und die nach der Satzung zulässigen Maßnahmen nicht ausreichen, um die von den herüberhängenden Ästen ausgehenden Beeinträchtigungen zu beseitigen, bleibt dem beeinträchtigten Nachbarn nur noch die Geltendmachung einer Entschädigung nach dem sogenannten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch übrig.

Dr. Normen Crass, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main.